Auf was Menschen alles kommen! Wir könnten es „spannend“ nennen, wenn es nicht viel zu oft traurig wäre. Was ich bei der Einführung, besser formuliert: bei der Verhinderung einer Katzenschutzverordnung (KaSchV) schon alles an bodenlosem Unsinn gelesen und gehört habe, ist bezeichnend für unsere althergebrachte lokalpolitische Landschaft. Aber es gibt Hoffnung: Wurde die Peinlichkeit der Ulrichsteiner Stadtverordneten, die eine KaSchV abgelehnt haben, gerade durch die Medien bekannt, so haben die Wächtersbacher still und unaufgeregt eine solche beschlossen.
Sie haben keinen Schimmer, worüber ich hier gerade schreibe, liebe LeserInnen? Ich will es erklären: In manchen Kommunen begleiten wir von Politik für die Katz‘ den Versuch, eine KaSchV einzuführen. Allerdings kann der Versuch in einigen Fällen auch genau anders herum sein: Man möchte eine KaSchV verhindern. Dabei stossen wir immer wieder auf ähnliche Erscheinungen in den kommunalen Parlamenten: freundliche ältere Herren.
Diese Herren — mir sind Damen in dieser Mission tatsächlich bisher nicht bekannt — haben natürlich nicht viele Argumente gegen eine KaSchV. Die Einschätzung in den Fachkreisen ist so eindeutig, die Rechtslage zwingend, dass ich es besser so formuliere: Diese Herren haben noch nicht einmal ein schlagendes Argument.
Folglich müssen sie ihre Position mit etwas begründen, das in der Regel kaum über die Kategorie „hanebüchener Unsinn“ hinausgeht. Wir kennen das nicht erst seit Trump: Auch mit Fake News — auf Deutsch wäre das nicht besser als dummes Zeug — findet man Gehör und Mehrheiten. So werden dringend notwendige gesellschaftliche Entwicklungen verhindert — wie eben eine KaSchV. Wie in Ulrichstein — aber dazu später mehr …
Wächtersbach rocks!
Dabei geht es auch anders, wie jüngst der Fall der hessischen Stadt Wächtersbach zeigte. Im Protokoll der öffentlichen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 11. November 2021 steht gerade mal ein Absatz dazu:
„Der Bürgermeister teilt mit, dass der Magistrat eine Katzenschutzverordnung zum 01.01.2022 beschlossen hat. Die wesentlichen Punkte der Katzenverordnung sind Chip- und Kastrationspflicht aller Katzen. Eine wilde Vermehrung der Tiere sei in erster Linie nicht nur ein Problem für diese, sondern auch für alle Anwohner gerade im Hinblick auf die Hygiene. Letztendlich ist der Magistrat den Empfehlungen von eingingen Tierschutzverbänden gefolgt.“ (sic!)
Als ich das las, war ich baff, denn das ist ein bemerkenswerter Vorgang in mehrfacher Hinsicht:
- Man sich in Wächtersbach des vorhandenen Sachverstands der Tierschutzverbände bedient.
- Das Thema wurde im Magistrat (so wird der kommunale Vorstand in hessischen Städten bezeichnet) aufgegriffen und nicht in der Stadtverordnetenversammlung.
- Es wurde eine KaSchV erlassen.
Anstatt also das Thema im kommunalen Parlament breit zu diskutieren, es in Ausschüsse zu verweisen und dann letztlich nach Monaten abzulehnen, hat man, wie es aussieht, einfach das Richtige und Notwendige pragmatisch beschlossen. Hat man die Sach- und Rechtslage begriffen, dann ist das Ergebnis vorgegeben. Warum also unnötige Ehrenrunden in Ausschüssen drehen, wenn es auch den direkten Weg zum Ziel gibt? Das hat man in Wächtersbach wohl erkannt. Das verdient Anerkennung.
Liefe es immer so — wäre also der Umgang unserer LokalpolitikerInnen zu unserem Thema sach- und vernunftgeleitet — dann bräuchte und gäbe es unsere Initiative nicht. Ein schrecklicher Gedanke: Was würde ich bloss machen in all der freien Zeit? Endlich meinen privaten Blog schreiben?
Wo ist der nette Landwirt?
Die wunderbare Wächtersbacher Geschichte hat aus meiner Erfahrung aber noch eine sehr gravierende Besonderheit: In ihr taucht kein freundlicher älterer Herr auf — auffallend oft handelt es sich bei diesem um einen Landwirt — der schon seit Generationen im kommunalen Parlament sitzt und dort die Interessen seiner Lobby vertritt. Daheim hadert er bereits seit Jahren, dass es ihm nicht mehr erlaubt sein soll, seine überzähligen Katzen zu ersäufen. „Armes Deutschland“, so seufzt er trübsinnig auf seinem Hof. Ansonsten ist er — da habe ich keine Zweifel — ganz sicher ein freundlicher älterer Herr.
Das ist doch alles nur ausgedacht, so denken Sie vielleicht, liebe LeserIn? Nein, wir von Politik für die Katz‘ kennen solche Menschen. Zugegeben, ich habe ein wenig geschummelt: Manche sind nicht mal freundlich.
Aber ich weiss: Sie sitzen — gut vernetzt — in der Lokalpolitik und verhindern als engagierte Gemeindemitglieder neben Katzenschutzverordnungen auch sonst den dringend notwendigen Wandel in unserer Gesellschaft.
Wächtersbach gibt Hoffnung
Tja, liefe es doch nur überall so wie in Wächtersbach! Hier, in dieser kleinen Stadt in Hessen, haben verantwortungsbewusste Menschen den Schritt in die richtige Richtung getan. Natürlich haben sie das, denn wir alle wissen: Früher oder später wird dieser Schritt überall gemacht werden! Nachdem in diesem Jahrtausend endlich die Erkenntnis im Grundgesetz festgeschrieben wurde, dass Tierwohl eine Selbstverständlichkeit für eine aufgeklärte Gesellschaft ist, ist es doch — genauso selbstverständlich — nur eine Frage der Zeit bis zur Umsetzung. Das Räderwerk von Gesetzgebung und Verwaltung stellt richtige und wirksame Regeln auf, die den dringend notwendigen Schutz der Tiere gewährleisten.
Anders formuliert: Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass wir mit anderen Lebewesen — also auch mit freilebenden Katzen — respektvoll umgehen wollen. Wenn man will — und in Wächtersbach wollte man — dann kann man einen wichtigen Schritt dazu bereits heute umsetzen: schnell und effektiv eine KaSchV einführen.
Der gesellschaftliche Konsens: Tierwohl!
Trotz Wächtersbach wissen wir aber alle, dass wir noch lange nicht da angelangt sind, wo wir hinwollen: Wie wenig das Tierwohl tatsächlich wertgeschätzt wird, das zeigen nicht nur die verachtenswerte Massentierhaltung, elendige Tiertransporte und zweifelhaftes Billigfleisch. Dafür verantwortlich sind „die Grossen“ — das ist die Fleischindustrie — und die wenigsten von uns werden es gutheissen, was da immer noch für Verhältnisse herrschen.
Aber auch die hier beschriebenen Verhinderer eines ganz einfachen Katzenschutzes im Kleinen — eben diese freundlichen älteren Herren in unseren Kommunalparlamenten mit überkommenen Vorstellungen hinsichtlich des Tierschutzes — beweisen, dass unsere Gesellschaft noch ziemlich weit entfernt ist von einem respektvollen und empathischen Umgang mit anderen Lebewesen. Dabei müssten wir solche Tierschutzverhinderer doch mit Argumenten und der notwendigen Zivilcourage — zum Beispiel öffentlichem Aufstehen Vieler für den Katzenschutz — auf den richtigen Weg bringen können, oder?
Die WächtersbacherInnen und deren pragmatisches (oder vielleicht sogar weises) Vorgehen war insofern ein wenig Balsam für die Wunden, die ich fast täglich sehe. Wie schön es ist, wenn die Verantwortlichen einfach das Richtige tun!
Ulrichstein blocks!
Die Realität holte mich ein in Form eines Presseberichts über eine andere kleine hessische Stadt, keine 50 km nördlich von Wächtersbach: Ulrichstein. In der Alsfelder Allgemeinen konnte man die Äusserungen des dortigen CDU-Vorsitzenden Jan Philipp Mettler zum Thema lesen: Man wolle den Ulrichsteiner Privatleuten nicht vorschreiben, ihre Katze kastrieren zu lassen.
Ah, da ist sie wieder, die bekannte Geschichte: Jemand hat das Thema nicht verstanden! Das ist mal wieder typisch: Alte Männer verhindern … — aber halt! Da brechen ja alle meine Vorurteile in sich zusammen: Der CDU-Mann ist gerade mal Anfang 20! Nix alter Landwirt, sondern Lehramtsstudent. Mist. Was nun?
Hinschauen, ich muss einfach nur genau hinschauen! So blättere ich die Fraktionsliste der CDU in Ulrichstein durch — und stolpere: Der Name Mettler taucht doppelt auf. Es sitzt auch ein Michael Mettler für die CDU im Stadtrat und er ist — halleluja! — Landwirt. Da haben wir ihn ja, den älteren netten Herrn! Ob es sich um den Vater von Jan Philipp Mettler handelt? So wäre man ja nicht nur gut, sondern bestens vernetzt …
Egal, denn ich gehe natürlich fest davon aus, dass der Landwirt Michael Mettler seine Hofkatzen auch ohne KaSchV kastriert, gekennzeichnet und registriert hat. Denn: Als Christdemokrat steht Mettler natürlich für die Bewahrung der Schöpfung und behandelt seine Katzen selbstverständlich gut!
Trotzdem dürfte auch er die Einführung einer Katzenschutzverordnung in Ulrichstein verhindert haben — wir alle kennen ja den Fraktionszwang, den es in der Theorie zwar nicht geben darf, der aber trotzdem überall in unseren Parlamenten eifrig praktiziert wird. Ich gehe fest davon aus, dass er gegen die Einführung der Verordnung gestimmt hat. So weit vertraue ich denn doch auf meine Vorurteile …
Regeln? Besser nicht!
Die Argumentation aus der CDU Ulrichstein im verlinkten Artikel greift nicht mal im Ansatz. Dem Schutz der Kreatur, dem Tierwohl, gibt man dort keinen Raum. Hier könnte endlich mal eine Verbesserung des Tierwohl mit geringem Aufwand erreicht werden — es wird aber mit keinem Wort erwähnt, warum man das nicht berücksichtigt. Der Bürgermeister darf sich in der Zeitung sogar so äussern, dass es ein Katzenproblem gäbe, man das aber nicht kontrollieren könne. Was immer das bedeuten sollte …
Beide Mettlers hätten ihren Teil dazu beitragen können — und machen es nicht! Statt dessen müht sich der CDU-Fraktionschef ähnlich unbeholfen wie FDP-Lindner an dem grossen Gedanken der Freiheit ab. Laut Alsfelder Zeitung wandte sich der junge Mettler dagegen, Ulrichsteiner Privatleuten vorzuschreiben, ihre Katze kastrieren zu lassen.
Nichts vorzuschreiben, das dürfte sein konservatives Leitbild sein. Schliesslich leben wir ja auch ansonsten ohne ein Regelwerk gut und friedlich miteinander in vernunftbegabter Eigenverantwortung. Geht es um den Strassenverkehr, die Rücksichtnahme auf Nachbarn, den Umgang mit Müll oder die Zahlung der Grundsteuer, dann machen wir das täglich ohne irgendwelche Regeln, nur mit gesundem Menschenverstand untereinander aus! Nein? Jetzt wo Sie es denken: Tatsächlich! Na, das ist ein Ding: Sie haben Recht!
Vielleicht sind all diese Dinge deswegen geregelt, weil wir es auf freiwilliger Basis nicht alle hinbekommen? So wie den respektvollen Umgang mit freilebenden und schwer leidenden Katzen in unseren Dörfern und Städten?
Viele Fragen
Hinsichtlich der Argumentation der Ulrichsteiner Mettlers stellen sich, nein, stelle ich diese Fragen:
- Gelten für Tiere andere christliche Werte als für Menschen — insbesondere unter dem Aspekt, dass freilebende Katzen teils furchbares Leid erleben?
- Welche Freiheit der BürgerInnen könnte durch eine Katzenschutzverordnung eingeschränkt werden?
- Mit welcher Begründung soll eine eventuell festgestellte Verletzung bürgerlicher Freiheitsrechte vorrangig sein gegenüber dem im Grundgesetz verankerten Tierwohl?
Die Liste der Fragen könnte ich leicht erweitern — aber ich möchte es weder Ihnen, liebe LeserInnen, noch die Adressaten zu schwierig machen. Ja, ich werde diese kurze Frageliste an die beiden Mettlers schicken und um Antworten bitten. Ich fürchte allerdings, dass ich statt zufriedenstellender und mit Fakten untermauerter Antworten Allgemeinplätze zu lesen bekommen werde.
Danke, Ulrichsteiner CDU!
Ganz zum Schluss möchte ich der Ulrichsteiner CDU meinen Dank aussprechen. Sie hat mein gesundes Vorurteil über konservative ältere Herren, die der gesellschaftlichen Erneuerung mit aller Kraft im Wege stehen, schliesslich doch noch gefüttert. Ich bin erleichtert, dass der ältere Landwirt in der Ulrichsteiner CDU gehegt und gepflegt wird.
Auch wichtig finde ich es, dass man sich dort um den hoffnungsvollen Nachwuchs sorgt. Und zwar erfolgreich! Das belegen schon die beiden Wahlplakate eindrucksvoll: Der Spruch auf dem des Juniors ist bereits ebenso ein überflüssiger Allgemeinplatz wie der des Seniors. Da wächst etwas heran! Aus netten jungen Männern werden bald nette ältere Männer, davon gehe ich fest aus.
An der Sache mit dem Landwirt, da muss die junge CDU aber noch arbeiten. Lehramt, pah!
Frank Jermann
PS. Ein Nebengedanke: Wie wäre es mal mit engagierten jungen Frauen in der Kommunalpolitik? In der Ulrichsteiner Stadtverordnetenversammlung beträgt der Frauenanteil stand heute 0 Prozent.